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Engel, die aus Pfeifen singen

    Unsere neue Lichtstrahl-Kolumne widmet sich der Musik. In der zweiten Folge geht es um himmlische Boten. Jahrhundertelang strebten Musiker:innen danach, den Gesang der Engel zu imitieren. Auch in Bockenheim kann man sie hören. Von Timo Benß

    Das Oratorium „Elias“ gehört zu den bekanntesten Werken des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy. Darin enthalten ist die Motette „Denn er hat seinen Engeln befohlen“, der Text dazu stammt aus Psalm 91: 

    „Denn er hat seinen Engeln befohlen über dir,
    dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen,
    dass sie dich auf den Händen tragen
    und du deinen Fuß nicht an einem Stein stoßest.“

    Psalm 91

    Mendelssohns Stück ist 1844 entstanden, mitten in der musikalischen Epoche der Romantik. Aus heutiger Sicht ist es nur so vollgepackt mit Kitsch. Egal, auf welchem Instrument man diesen Satz spielt, es kommt einem immer sofort ein Streichorchester in den Sinn, wenn man die zarten, aber dennoch kraftvollen Klänge hört. 

    Ja, Engel werden in der Musik häufig mit Streichern assoziiert. In vielen Orgelprospekten sieht man auch kunstvolle Darstellungen von Engeln mit Geigen oder auch mit Harfen. Auch in der Bockenheimer Lambertskirche gibt es eine Verbindung zwischen Engeln und Streichern, aber nicht bildlich, sondern in Form eines Registers: Voix celeste, die Stimme des Himmels, heißt es.

    Das Register gehört zu der Familie der Streichregister. Das sind Pfeifen, die im Vergleich zu ihrer Länge eher schmal sind. Dadurch säuselt der Klang etwas und klingt ein bisschen wie ein Streichensemble. In der Martinskirche, wo eine Barockorgel steht, deren Register auf das Jahr 1813 zurückzuführen sind, gibt es zwei dieser Streichregister: Viola di Gamba und Salicional. Diese sind aber alles andere als engelsgleich: Sie sind – typisch Barock – sehr klar und glänzend. An der romantischen Walcker-Orgel, Baujahr 1925, in der Lambertskirche sieht das anders aus. In dem spätromantischen Instrument gibt es auch Register mit dem Namen Viola di Gamba und Salicional. Die sind allerdings eher zart und weich, wenn auch die Viola di Gamba etwas lauter und auch zur Gemeindebegleitung einsetzbar ist. Im Pedal kann man das Register mit dem Namen Violonbass ziehen. Daneben gibt es im sogenannten Schwellwerk, bei dem man die Töne durch mechanische Klappen am Gehäuse lauter und leiser klingen lassen kann, die Register Aeoline und eben die Voix celeste

    Die Magie der Voix celeste besteht aber nicht allein darin, dass es ein Streichregister ist. Der engelsgleiche Klang kommt dadurch, dass man eigentlich zwei Register spielt. Eines davon ist absichtlich leicht verstimmt. Dadurch, dass beide gleichzeitig klingen, scheint der Ton in der Luft zu schweben. Rein physikalisch gesehen ist es nur die Überlagerung von leicht unterschiedlichen Frequenzen. Musikalisch gesehen heißt dieses Register aber zurecht übersetzt „Stimme des Himmels“. 

    Dass mit Engeln Streicher verbunden werden, war nicht schon immer so. Es ist vor allem der verklärten Romantik zu verdanken. In der Bibel schlagen die Engel ganz andere Töne an. In Matthäus 24 heißt es etwa: „Und er wird seine Engel senden mit hellen Posaunen.“ Nach hellen Posaunen klingt die Voix celeste nicht wirklich.

    Register mit dem Namen Posaune gibt es auch. Meist ist es ein Bassregister, das eine Oktave tiefer als eine Trompete klingt, die es in der Martinskirche gibt. Mit dem romantischen Engelsbild, das besonders in der Weihnachtszeit verbreitet ist, hat das wenig zu tun. Aber der majestätische Klang taugt ganz ordentlich, um es an Weihnachten durchaus einzusetzen.